DIE KUNST HERAUSGEGEBEN
Published October 14. 1907. <...> Privilege of Copyright in the
United States reserved under
the act approved March 3, 1905
by Marquardt & Co. in Berlin
DRUCK VON OSCAR BRANDSTETTER IN LEIPZIG
DIE KUNST HERAUSGEGEBEN
VORWORT
E
s ist noch nicht fünfzehn Jahre her, daß von der Bedeutung der künstlerischen
Photographie in Deutschland gesprochen werden kann. <...> Damit ist nicht gesagt, daß die Photographie vorher künstlerische Absichten
überhaupt nicht gekannt hätte. <...> Seit der Erflndjaug der Photographie hatte es überall und
jederzeit bei uns Liebhaberphotographen und Berufsphotographen gegeben, die die
Photographie als Ausdrucksmittel für ihre künstlerische Empfindung und Anschauung
verwandten. <...> Aber alle Anstrengungen, die der einzelne machte, nützten nur ihm und
ließen keine Spur, wenn er aufhörte. <...> Zu einer wirkenden Bewegung konnte es erst kommen, als sich Anfang der neunziger Jahre die
Kräfte zusammenschlössen, ein gemeinsames Ziel erkannten und die Arbeit organisierten. <...> In allen
größeren Städten hatten sich Vereine von Liebhaberphotographen gebildet. <...> Aber sie arbeiteten
zunächst noch jeder für sich und hatten noch keine gemeinsamen Ziele. <...> Den allgemeinen Zusammenschluß brachte für Deutschland — in Wien war die Bewegung
etwas älter, doch wußten wir nichts von ihren Erfolgen — die erste internationale Ausstellung von
Liebhaberphotographien in der Kunsthalle zu Hamburg 1893. <...> Vertreter dreier ganz verschiedener Interessengruppen hatten sich vereinigt, um diese
Ausstellung zustande zu bringen: Liebhaberphotographen, Museumsvorstand und Berufsphotographen. <...> Auf den ersten Blick erscheint diese Verbindung zu gemeinsamer Arbeit kaum verständlich. <...> Eine
Museumsverwaltung mußte <...>
Kunstlerische_Photographie.pdf
. NEUNUNDFÜNFZIGSTER .
. UND SECHZIGSTER BAND .
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DIE KUNST HERAUSGEGEBEN
Published October 14. 1907.
Privilege of Copyright in the
United States reserved under
the act approved March 3, 1905
by Marquardt & Co. in Berlin
DRUCK VON OSCAR BRANDSTETTER IN LEIPZIG
Стр.2
E
Liebhaberwerden.
Die
Entwicklung der Bildnisphotographie, die zu Anfang der vierziger Jahre aufkam, hatte
unmittelbar den verhängnisvollsten Einfluß auf die Malerei.
Zunächst eroberte sie weite und wichtige Gebiete der Kunstübung und verdrängte die
angesessenen Künstler. Ihr erstes Opfer war die Bildnisminiatur. Hier ging die Entwicklung so rasch
vor sich, daß die meisten der um 1840 tätigen Miniaturmaler Berufsphotographen wurden, anfangs im
Nebenamt, bald ausschließlich. Dann folgte die Bildnislithographie, die ihrerseits zwei Jahrzehnte
vorher dem Bfldiusstich und der Bildnisradierung das Lebenslicht ausgeblasen hatte. Die Lithographie
DIE KUNST HERAUSGEGEBEN
VORWORT
s
ist noch nicht fünfzehn Jahre her, daß von der Bedeutung der künstlerischen
Photographie in Deutschland gesprochen werden kann.
Damit ist nicht gesagt, daß die Photographie vorher künstlerische Absichten
überhaupt nicht gekannt hätte. Seit der Erflndjaug der Photographie hatte es überall und
jederzeit bei uns Liebhaberphotographen und Berufsphotographen gegeben, die die
Photographie als Ausdrucksmittel für ihre künstlerische Empfindung und Anschauung
verwandten. Aber alle Anstrengungen, die der einzelne machte, nützten nur ihm und
ließen keine Spur, wenn er aufhörte.
Zu einer wirkenden Bewegung konnte es erst kommen, als sich Anfang der neunziger Jahre die
Kräfte zusammenschlössen, ein gemeinsames Ziel erkannten und die Arbeit organisierten. In allen
größeren Städten hatten sich Vereine von Liebhaberphotographen gebildet. Aber sie arbeiteten
zunächst noch jeder für sich und hatten noch keine gemeinsamen Ziele.
Den allgemeinen Zusammenschluß brachte für Deutschland — in Wien war die Bewegung
etwas älter, doch wußten wir nichts von ihren Erfolgen — die erste internationale Ausstellung von
Liebhaberphotographien in der Kunsthalle zu Hamburg 1893.
Vertreter dreier ganz verschiedener Interessengruppen hatten sich vereinigt, um diese
Ausstellung zustande zu bringen: Liebhaberphotographen, Museumsvorstand und Berufsphotographen.
Auf den ersten Blick erscheint diese Verbindung zu gemeinsamer Arbeit kaum verständlich.
und Berufsphotographen standen sich mindestens kühl gegenüber. Eine
Museumsverwaltung mußte sich gegen die Tätigkeit der Berufsphotographen sehr ablehnend verhalten,
und wenn sie auch in den Arbeiten der Liebhaberphotograpben allerlei erfreuliche Versuche
anerkennen konnte, war es von da bis zum Entschluß, der Liebhaberphotographie die Räume einer
Gemäldegalerie zur Verfügung zu stellen, ein weiter Sprung. Dem Publikum kam es vor, als wollte ein
Naturforscherkongreß als Sitzungssaal eine Kirche benutzen.
Das Bindeglied der auseinanderstrebenden Gruppen bildete die Museumsverwaltung.
Wir hatten gerade damit angefangen, die ersten Schritte zu einer Pflege des wichtigsten und am
meisten vernachlässigten Zweiges der lebenden Kunst zu tun, der Bildnismalerei. Die Historienmalerei
war abgestorben, das sog. Sittenbild — die Genremalerei — lag in den letzten Zügen. In vielen
deutschen Städten zwischen hundert- und achthunderttausend Einwohnern gab es bestenfalls ein paar
Landschaftsmaler — die Bildnismalerei war an vielen Orten wie ausgelöscht.
Wenn es möglich war, die Liebe zum Bildnis beim Publikum wieder anzufachen, so war
unserer Malerei der feste Boden der Menschendarstellung zurückgewonnen, denn das Bildnis umfaßt
alle Mittel der Malarei. Es kann monumental und intim sein, es kann die Form des Historien wie des
Sittenbildes annehmen, kann alle Pracht der großartigsten und alle Behaglichkeit der einfachsten
Innenränme und die ganze Landschaft mit allen ihren Formen und Stimmungen in seinen Bereich
ziehen.
Dieses wichtigste Gebiet war aber den führenden deutschen Künstlern der jüngeren Generation
so gut wie verschlossen. Je besser die Bildnisse waren, die sie aus dem Kreise ihrer Familie und
Freunde malten, je weniger gefielen sie, denn das Publikum konnte Wahrheit und Ehrlichkeit nicht
mehr vertragen. Es versagte, wenn ein Versuch gemacht wurde, ihm das Werk eines nicht im Bann
alter Kunst schaffenden Meisters näher zu bringen.
Eine Hauptursache seines Widerstrebens mußte im Zustande der Bildnisphotographie gesucht
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